Eltern, ihre Kinder und der Mangel an brachialer Bewegung zur Rettung der Welt.

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Ich habe keine Kinder. Wenn man selbst keine Kinder hat, ist es immer kompliziert, sich zum Thema Kinder und Kindererziehung zu äußern. Das hat mehrere Gründe. Einer ist, dass man natürlich als Blinder von der Farbe spricht. Wer keine Kinder hat, weiß nicht, wie es ist, Kinder zu haben, kann sich also nur sehr begrenzt in die Lage von Eltern hineinversetzen. Ein anderer besteht darin, dass man bei dem Thema nicht dieselbe Emotionalität aufbringt, die Eltern bei dem Thema empfinden — natürlich. Man kann nicht wirklich komplett nach- oder mitempfinden.

Aber manchmal ist es für die Bewertung einer Situation vielleicht gar nicht unbedingt hilfreich, sich in die Lage der Betroffenen zu versetzen. Manchmal ist es besser, von draußen drauf zu schauen, weil man eine andere Perspektive hat, die Betroffene nicht einnehmen können. Und auch die Emotionalität eines Themas kann aus meiner Sicht sinnvoll machen, sich als Nichtbetroffener zu äußern. Denn extrem hohe emotionale Involvierung sorgt natürlich immer auch dafür, dass die betroffenen Personen im wahrsten Wortsinn nicht immer ganz klar denken können. Denn genau das ist Emotionalität — die Ratio wird ausgeschaltet oder mindestens zurückgedrängt, zugunsten der Gefühle. Dass aber Gefühle nicht immer zu den besten Entscheidungen führen, ist bekannt.

Meine These, erster Teil: Jahrtausendelang war es für Menschen der richtige Weg, sich bei der Kindererziehung grade von Gefühlen leiten zu lassen.

Durch die sich radikal wandelnde Welt ändert sich das heute. Und damit kommen wir nicht klar.

Unsere Gefühle konnten sich während des längsten Teils der Menschheitsgeschichte offenbar evolutionär passend zu unseren Umfeldern entwickeln, und das hat uns bis hier und heute gebracht: Unsere Spezies ist — zumindest in Bezug auf Verbreitung und Anwachsen — ja offenbar erfolgreich. Auf dem Weg hierher waren und sind die meisten erzieherischen Entscheidungen und die Entscheidungen zum Überleben des Nachwuchses allem Anschein nach emotional gesteuert: Angst vor dem Säbelzahntiger sorgt für Flucht- oder Kampfinstinkte, um die Kleinen zu schützen. Das Empfinden von Liebe erzeugt die notwendige Wärme, um sie emotional beschützt und psychologisch sicher aufwachsen zu lassen. Stolz zeigt ihnen, dass sie und ihre Tätigkeiten wichtig für uns sind. Ärger bringt ihnen bei, dass sie ihre Eltern nicht enttäuschen sollen. Gefühle aller Art regeln das Zusammenleben zwischen Eltern und Kindern — und machen Kinder zu funktionierenden Mitgliedern der Gesellschaft.

Das ist auch der Grund dafür, dass in vielen Medien und Gesprächen ganz widerspruchslos höchst problematische Sätze wie „Eltern zu sein, ist der wichtigste Job der Welt“ hingenommen werden. Denn emotional stimmt das zweifelsohne. Rational aber kann man sehr gut argumentieren — je nachdem, wie man „wichtig“ definiert —, dass es deutlich wichtigere Jobs gibt als das Aufziehen von Kindern. Wer stattdessen nämlich entscheidet, im Labor an einem Mittel gegen Krebs zu forschen, könnte gute Gründe anführen, um diesen Job für wichtiger zu halten.

(Allein so etwas als Nichtvater ins Internet zu schreiben, kann je nach Leserschaft schon für — hoch emotionales — Wutgeheul sorgen. Was mich aber nicht davon abbringt, das so zu sehen. Denn ich bin bei dem Thema eben nicht emotional.)

Der zweite Teil meiner These: Die evolutionäre Entwicklung unserer emotionalen Reaktionen kann mit manchen Herausforderungen unserer heutigen Welt nicht mehr mithalten — und die häufig emotionale Steuerung unseres Umgangs mit Kindern gerät an ihre Grenzen. Denn die Aufgaben, die jetzt anstehen, um das Überleben von uns Menschen hier auf der Erde zu sichern, entziehen sich emotionaler Erfassbarkeit.

Das ist nicht die Schuld der Eltern. Es ist die Schuld der Umstände.

Dafür ein Beispiel: Nehmen wir an, es geht um die Frage, wie Eltern idealerweise am Sonntagnachmittag für ihre Kinder da sind. Man bietet zwei Optionen an und fragt, welche aus ihrer Sicht besser für die Zukunft ihre Kinder ist: Option 1 — die Eltern stehen jeden Sonntagnachmittag für sie zum Spielen, gemeinsame Hausaufgaben oder Ausflüge zur Verfügung. Oder Option 2 — die Eltern verlassen jeden Sonntagnachmittag das Haus, um sich gemeinsam mit anderen Erwachsenen in Vereinen, Verbänden oder auf der Straße demonstrierend gegen den Klimawandel zu engagieren, wird ein hoher bis überragend hoher Anteil Eltern sofort Option 1 wählen. (Vermute ich. Und bitte beachten: Das ist ein Gedankenspiel, das in Extremen funktioniert — es wird sicher Eltern geben, die beides zu verbinden wissen.)

Die Entscheidung ist natürlich emotional nachvollziehbar. Wenn man diese Zeit mit den Kindern verbringt, fühlt es sich so an, als könne man für sie (und übrigens auch für sich selbst!) wirklich nichts besseres tun.

Aber stimmt das wirklich?

Ich will mit diesem Text keiner Mutter und keinem Vater Vorschriften machen. Ich versuche nur mir selbst irgendwie zu erklären, warum Eltern zwar im Kindergarten auf die Rechte ihrer Kleinen pochen, sich für sichere Schulwege und gesunde Ernährung einsetzten, dieselben Eltern dann jedoch ins SUV steigen und vierköpfig nach Mauritius in den Urlaub fliegen, dafür aber keinesfalls Woche für Woche vor dem Kanzleramt gegen die desaströse Klimapolitik unseres Landes demonstrieren — und damit gegen eine kaputte Welt, die genau diese Kinder aufgrund der aktuellen Politik in 40 Jahren vorfinden werden. Ungefähr dann, wenn diese Kinder sich eigentlich mit ihrer Midlife-Crisis beschäftigen sollten, werden die heute 5-jährigen dafür keine Zeit mehr finden, weil die Zustände der Welt Ihnen gar nicht mehr den Luxus einer Midlife-Crisis erlauben. (Oder weil „mid-life“ aufgrund drastisch gesunkener Lebenserwartung bereits zehn Jahre früher stattgefunden hat.)

Aus meiner Sicht müssten — wenn wir es mit den Kindern und ihrer Zukunft wirklich ernst meinten — alle Eltern der westlichen Welt gemeinsam die massivste und unüberhörbarste Bewegung gegen den Klimawandel bilden, die die Welt je gesehen hat. Und dabei so viel brachiale Wirkung auf die Politik erzeugen, dass der Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen eine Frage von Monaten ist.

Aber genau das passiert nicht. Warum nicht?

Meine Vermutung: Weil viele Eltern Kindergärten, Bürgersteige und gesundes Essen emotional erfassen können. Den Klimawandel aber nicht.

13 Kommentare

  1. Anja Hartmann Hmmm… -Deine erste These halte ich für falsch. Nach allem, was ich aus meiner Zeit als Historikerin erinnere, ich die „Gefühligkeit“ von Eltern gegenüber Kindern eine Erfindung des 19. Jahrhunderts (ein Element der bürgerlichen Innerlichkeit). Vorher gab es Regeln, Strenge, Kinder als Arbeitskräfte u.ä.m. Ich könnte Dir zur Illustration eine schöne Tagebuchstelle einer Genferin um 1800 zitieren, die sich Vorwürfe macht, weil sie beim Selbst-Stillen (Skandal in der Zeit!) Zuneigung zu ihrem Kind empfindet.

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  2. Die eigene Verantwortungslosigkeit kann jeder Mensch auch ohne Kinder jederzeit rationalisieren. Trotzdem ist natürlich die Einstellung „Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter!“ hanebüchener Unsinn.

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  3. Also, als Mutter von 2 Töchtern (7 und 10 Jahre) stimme ich Dir durchaus zu, dass, sobald das Kind geboren ist (und sicher auch schon vorher) die Emotionen mehr, anders werden und auch gerne mal mit einem durchgehen.
    Ich sehe meinen Job der Mutter nicht als den wichtigsten an. Der wichtigste Job als Eltern ist, dass wir unsere Kinder auf dem Weg ein verantwotungsbewußter Mensch zu werden begleiten, leiten und Denkanstöße geben. Und das fängt hier zu Hause an: Licht ausmachen, das Wasser beim Duschen nicht die ganze Zeit laufen lassen, Fahrrad fahren, Bus fahren und nicht immer das Auto nehmen. Blumen mit Regenwasser gießen, einen Kompost anlegen, Bienenwiese pflanzen, die Kinder für viele Bereiche des Lebens begeistern (Politik, Geschichte, Kunst, etc.), versuchen Plastik zu vermeiden, …
    Im Urlaub am Strand haben wir mal keine Muscheln gesammelt, sondern Müll. Die Kinder hatten große Freude daran und als auch andere Unrat gesammelt haben, waren die beiden total stolz. Klar, könnte ich in Berlin auf Demos gehen, aber die kleinen Veränderungen, die Großes bewirken können, fangen bei uns selber an und damit, wie wir unser Umfeld gestalten. Ich hoffe, ich schaffe das. War ich jetzt zu emotional?

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    1. Nein, finde ich nicht. 😉
      Meine Frage war ja auch eine sozusagen „sozial aggregierte“: warum gibt es keine internationale Bewegung von Eltern, die auf die Barrikaden gehen, weil die Zukunft ihrer Kinder verspielt wird. Jeder einzelne kann diese globale Frage natürlich nur sehr begrenzt beantworten.

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      1. Ich bin mir auch nicht sicher, ob das überhaupt jemand beantworten kann. Für mich kann ich aber sagen, dass ICH mich und mein Bewußtsein für die Zukunft meiner Kinder entscheiden muss. Und das fängt erst mal hier bei mir zu Hause an. Und wenn das viele machen, dann ist das doch schon eine Bewegung, oder?

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      2. Nur dann, wenn auch alle miteinander darüber reden und eine wirklich hörbare Konversation entsteht. Und irgendwann auch Bewegung auf der Straße. Andernfalls spürt die Politik nicht, dass es diese Unruhe gibt. Und denkt stattdessen, dass man in Talkshows weiter über Flüchtlinge reden sollte. 😉

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  4. Hallo Martin,
    Ich find den Gedanken interessant. Warum gibt’s noch keine ‚Eltern gegen den Klimawandel?‘. Ich wär dabei! Das Argument ‚Um der Kinder willen‘ ist traditionell stark und würde gerade bei Konservativen eher ziehen als ‚Den Insekten zu Liebe‘, mal platt gesagt.

    Die mangelnde Mobilisierung von Eltern würde ich jetzt nicht den Emotionen zuschustern. Es ist schlicht eine Zeitfrage. Seit ich Vater von 2 Kindern bin, kann ich kaum noch Veranstaltungen wahrnehmen, es ist einfach nicht drin in diesem krassen Programm aus Arbeit (beide Eltern berufstätig, meine Frau mit 50 Stunden Woche und Schichtdienst), Kinderbetreuung und Organisation (Einkaufen, Bürokratie, Wohnung, der ganze Kram). Wir waren zwar mit den beiden schon auf 3 Demos (ziemlich viele für eineinhalbjährige finde ich), aber das ist eben auch Aufwand, mit dem Kinderwagen durch die halbe Stadt. Ich beobachte auch die Tendenz, dass Politik was für Studenten und Rentner ist, die anderen sind bei ihren Kindern :). Also müsste man sich Gedanken machen, wie man gezielt Eltern einbindet. Vielleicht könnten die Elternabende aller Kitas in Deutschland eine gemeinsame Petition auf ihre Kita-Agenda setzen? Müsste man kreativ sein, Demos sind auch nicht allen ihrs.

    Und noch zuletzt, wir machen uns oft Gedanken, wie die Welt für die beiden in 40 Jahren aussieht und gehen Szenarien durch, digitale Diktatur, Klimakollaps usw. und sind sicher nicht die einzigen Eltern die das tun ).

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    1. Alex, cool, eine andere Bekannte (ebenfalls Mutter) will auch was machen — wir sollten vielleicht mal auf anderem Weg in Kontakt treten. Kannst Du mich mal auf Facebook hinzufügen? Da bin zu finden als oetting.de

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  5. Ich habe selbst auch keine Kinder. Ich denke, dass der Zeitaspekt sehr wichtig ist und viele vom Aktiv-Werden abhält.
    Was mir aber noch kam, war der Gedanke, dass viele Eltern „egoistisch“ sein werden: Besser mein Kind individuell auf die Probleme von morgen vorbereiten, als die Zeit ins Gemeinwohl zu investieren. Ich kann’s ihnen nicht verübeln. Das Gefühl, dass man als Einzelne/r nichts erreichen kann ist schon sehr mächtig. Gerade beim Thema Klimawandel.

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    1. Kann man auch nicht wirklich. Je mehr ich mich mit dem Thema beschäftige, desto klarer wird: das geht nur, wenn man sich mit anderen zusammenschließt. Genau das ist das Motiv hinter Initiativen wie „Fossil Free“ und „350.org“. Gemeinsam mit vielen kann man Druck aufbauen, der schließlich auch in der Politik hörbar/fühlbar wird. Das ist die einzige Chance.

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