Zusammenfassung Nr. 1: diverse Online-Quellen zum Jahresauftakt.

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Kaffee & Kapital ist zurück! Willkommen im Jahr 2017!

Ein angenehmer Nebeneffekt des öffentlichen Nachdenkens auf einem Blog ist ja, dass viele kluge Menschen darauf als Reaktion interessante Quellen teilen und Links zu Artikeln und Texten schicken. Auf diese Weise habe ich eine Menge guter Texte vorgeschlagen bekommen und natürlich auch selbst einige entdeckt, und als erstes Posting im neuen Jahr möchte ich hier eine kleine Zusammenfassung der Ergebnisse bieten.

Nach meiner Auseinandersetzung mit Streecks Buch vor Weihnachten ist die Frage, ob die aktuelle durchkapitalisierte Weltordnung so überhaupt weiter funktionieren kann, ein zentraler Teil meiner Überlegungen. Der wie immer exzellente NPR-Podcast „Planet Money“ hat als kleine Illustration dazu in Ausgabe 574 das Metier der Schuldeneintreiber in den USA beschrieben, anhand des Beispiels der Stadt Buffalo. Man kann sich so etwas in Europa kaum vorstellen, aber in den USA machen sich ehemalige Gefängnisinsassen damit selbständig, dass sie sich für billiges Geld Schuldnerlisten kaufen und dann von den darauf in allen Details aufgeführten Leuten eigenständig die Schulden eintreiben können. Mit anderen Worten: die Ärmsten der Armen werden aufeinander gehetzt (ehemalige Gefängnisinsassen auf der einen Seite und auf der anderen die Dauerschuldner, bei denen man selbst $100 nicht mehr eintreiben kann), um sich quasi nur noch miteinander zu beschäftigen. Wenn Streeck in seinem Buch davon spricht, dass es in den USA „erprobte Techniken des Managements einer abgehängten Unterschicht“ gibt, dann wird hier mit einem Mal sehr plastisch deutlich, was er damit meint.

Bei ForeignPolicy wird ebenfalls passend zu Streeck auf das Thema Globalisierung fokussiert und beschrieben, dass die aktuellen politischen Verwerfungen grade in den angelsächsischen Ländern (Trump & Brexit) ihre Ursachen in bereits seit Jahrzehnten andauernden Entwicklungen haben: anstatt nationalisische Tendenzen zu überwinden, hat die Globalisierung in vielen Ländern dazu geführt, dass genau solche Tendenzen wieder erstarken, weil sich die Menschen in von Eliten (Streeck würde sagen: vom Kapital) geprägten globalisierten Systemen überhaupt nicht mehr vertreten fühlen und deswegen den Ausweg bei rechten oder linken extremen Parteien suchen.

Im Guardian schreibt George Monbiot derweil passenderweise davon, dass die derzeit alles beherrschende Ideologie, die sich in unserer Welt ausgebreitet hat wie keine andere zuvor, von den betroffenen Bevölkerungen überhaupt nicht als solche wahrgenommen und erkannt wird: der Neoliberalismus. Während die Russen sich in der Sowjetunion darüber bestens im Klaren waren, dass sie unter einer Perversion der kommunistischen Idee zu leiden hatten, wird heutzutage und in der postindustrialisierten Welt die Ideologie, die allem zugrunde liegt, in der Bevölkerung in keinster Weise wirklich diskutiert oder in Frage gestellt. Dabei können wir laut Monbiot alle entscheidenden Krisen der vergangenen Jahre auf die Exzesse des Neoliberalismus zurückführen — jedoch wird die Ideologie selbst nicht also solche wahrgenommen, sondern eher als eine Art Naturgesetz, und in jedem Fall als „alternativlos“. Monbiot beschreibt dann knapp und gut lesbar, wie die aktuelle Denkweise zunächst an den Rändern des gesellschaftliche Diskurses stattfand und dann erst in den 70er Jahren als Alternative zur in die Kritik geratene deutlich sozialere Politik à la Keynes ins Zentrum der Aufmerksamkeit geriet und schließlich in Margeret Thatcher und Ronald Reagan unglaublich effektive Steigbügelhalter gefunden hat. Was jedoch den großen Wert dieser Ideologie beschreiben soll — die alles überragende „Freiheit“, die im Kontext des Neoliberalismus als Kernwert verkauft wird — ist letztlich immer und immer wieder die Unfreiheit derer, die weniger besitzen. Und so zeigt Monbiot die Verbindung zwischen einer versagenden neoliberalen Agenda und den Ursachen für Trump & AfD, die ironischerweise selbst weiterhin auf derselben Agenda weiterfahren, anstatt sie zu bekämpfen. Ich kann den ganzen Artikel sehr empfehlen, er ist quasi ein gut lesbare knappe Zusammenfassung zentraler Thesen auch des Buches von Streeck. Und derweil warnen Wirtschaftswissenschaftler, dass die nächste Krise schon vor der Tür steht. Und so sagt Monbiot auch selbst in einem anderen Text, dass es nun keinen Weg mehr zurück gibt — dass wir neu über unsere Welt nachdenken müssen. Ein erster Vorschlag von ihm besteht darin, wieder über Gemeinschafteigentum („commons“) nachzudenken.

Im Silicon Valley (wo man sicher nur sehr ungern von Gemeinschaftseigentum hört) wird derweil langsam aber sicher über die Abkehr von der Demokratie nachgedacht. Wer sich mit StartUps befasst, kennt das Unternehmen AndreesenHorowitz — eine der erfolgreichsten Venture-Capital-Firmen der Welt. Deren a16z Podcast hat vor einigen Wochen das Thema „politische Kampagnen“ behandelt, als es Jim Gillian, dem CEO der Firma NationBuilder, die Möglichkeit gab, öffentlich darüber nachzudenken, wie man über Online-Plattformen im Netz nicht womöglich besser als durch politische Prozesse Meinungsbildung organisieren kann. Das kommt locker, flockig, unternehmerisch daher und wirkt herrlich pragmatisch und US-amerikanisch-sonnig, aber letztlich wird beim Nachdenken darüber klar, dass hier die Westküste schon mal gedanklich probt, ob man denn nicht künftig eher abseits von Congress & Co. die US-Gesellschaft formen sollte, die man haben möchte …

Bei Podcasts bleibend hier ein dritter — nachdem ich während der Ferienpause im Print-Spiegel einen Text über die „Identitären“ in Deutschland und deren gesellschaftliche Ideen gelesen hatte, konnte ich dann auf einer langen Autofahrt unter anderem im immer wieder bemerkenswerten Reveal Podcast vom Center for Investigative Reporting noch einmal das Interview nachhören, das dort der schwarze Host des Podcasts, Al Letson, mit dem amerikanischen White Nationalist Richard Spencer geführt hat — einer Art Leitfigur der identitären Bewegung. So absurd die Positionen Spencers in einer immer stärker zusammenwachsenden, immer volleren, immer komplexeren Welt sind, so interessant ist das Gespräch, in dem beide Seiten zivilisiert und bei ruhiger Stimme geblieben sind — trotz fast unfassbarer Meinungsunterschiede. Zu diesem Thema passt auch ein kürzlich bei ZEIT Online erschienener Text über den aktuell entstehenden Kulturkampf — demzufolge keinesfalls der Kampf zwischen Islam und westlicher Welt, sondern zwischen jenen, die eine globale Weltkultur sehen und erleben wollen, und anderen, die sich abkapseln und verbarrikadieren wollen.

Und für heute abschließend noch zwei Quellen, die sich mit Problemen in der politischen Kommunikation der Trump-Gegner auseinandersetzen. In der New Republic gab es einen brennenden Text dazu, dass die Demokraten und deren Verbündete viel zu viel Zeit mit bisweilen alberner Symbolpolitik verbracht haben, anstatt sich wirklich in den echten harten Kampf zu werfen. Und im „Revisionist History“-Podcast von Star-Autor Malcolm Gladwell (der ein echt guter Podcast ist, nur leider einen komplett unpassenden Namen hat), kann man in Folge 10 (The Satire Paradox) miterleben, wie sich Gladwell schon Monate vor der Wahl ernsthaft ärgerlich darüber echauffiert, wie sehr sich Satiriker und Comedians in den USA aus mangelndem Interesse oder fehlendem Mut zu echter beißendes Kritik letztlich vor Trumps Wagen haben spannen lassen. Wer sich dafür interessiert, wie politische Satire und Comedy eigentlich funktionieren — und wie nicht! — der sollte sich diese Folge auf jeden Fall anhören.

Das war’s erstmal für heute. Ich werde sicher absehbar weitere derartige Zusammenfassungen schreiben, denn meine Lektüre kann ja nicht nur aus Büchern bestehen.

3 Kommentare

  1. neulich über einen spannenden text gestolpert, der streek sehr gut auseinandernimmt. so wie ich das verstehe läuft seine beschreibung der welt auf einen lösungsansatz ala lafontaine und wagenknecht hinaus. ‪http://www.lrb.co.uk/v39/n01/adam-tooze/a-general-logic-of-crisis‬

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