US-Bankenrettung – ein Verrat am Kapitalismus und an Griechenland?

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In Folge 744 des Planet Money Podcasts von NPR (einer der erfolgreichsten und größten Podcasts weltweit) geht es um die Bankenrettung in den USA in den Jahren 2008 und 2009. Im Interview: Neel Kashkari, der Mann, der damals die Bankenrettung im Finanzministerium geleitet hat. Der eigentliche Fokus der Sendung liegt auf den Regeln, die damals entwickelt wurden, um die Banken künftig besser zu kontrollieren — sie sind offenbar alles andere als praxisnah und hilfreich, und Kashkari hat heute einen neuen Plan, um künftige Bank-Bailouts zu verhindern.

Mich interessiert an der Episode seine Motivation. Kashkari kam von Goldman-Sachs, sieht sich selbst als „Ideologe eines freien Marktes“, und hadert offenbar am meisten damit, dass sehr viele Menschen wegen der Bankenrettung extrem verärgert waren und es noch immer sind, weil sie bei der Bankenrettung ein kapitalistisches Urprinzip missachtet haben:

Als Gesellschaft haben wir einen zentralen Glauben, der von Generation an Generation weitergegeben wurde, den Glauben an freie Märkte: wenn Du ein Risiko eingehst, dann steht Dir der Gewinn zu, und dann steht Dir der Verlust zu. Das haben wir fundamental verletzt, als wir die Banken gerettet haben.

Zunächst mal finde ich interessant, dass er den „Glauben an freie Märkte“ wie eine Religion darstellt, die seit Generationen weitergegeben wird. Wenn man weiß, dass die neoliberale Idee möglichst freier Märkte immer wieder in Verruf geraten ist und erst in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts ihren erstaunlichen Erfolgskurs angetreten hat, wird deutlich, wie kurz unser Geschichtsbewusstsein in dieser Hinsicht ist. Was wohl auch daran liegt, dass der Glaube an Märkte, die so frei sein sollen wie nur irgend möglich, vor allem in den USA kaum noch als Ideologie anerkannt wird, sondern heutzutage eher als eine Art grundsätzliches „Naturprinzip“.

Zweitens aber wird deutlich, dass in einer freien radikalen Marktideologie offenbar nicht allein der Fehler unserer heutigen Zeit liegt — sondern wohl zu einem hohen Maß ebenso darin, wie selektiv und ausgewählt diese angewendet wird. Laut Kashkari hätten die Banken, einer Marktlogik folgend, nicht gerettet werden dürfen. Warum wurden sie dennoch gerettet? Sie waren damals und sind weiterhin: „Too big to fail“. Zu groß, um untergehen zu dürfen.

Und nun erklärt Jacob Goldstein, der Host der Show, was das eigentlich bedeutet. Das Problem bei einer Bankenkrise liege nicht so sehr darin, dass Banken Darlehen vergeben (woran man bei Banken vielleicht als erstes denkt). Vielmehr sei das Problem, dass sich Banken selbst enorme Geldmengen leihen — von normalen Kunden, von anderen Unternehmen, von anderen Banken — und mit diesem Geld spekulieren sie dann. Gerät nun eine solche Bank in finanzielle Schieflage, kann sie all diesen Leuten die Kredite nicht zurückzahlen. Bei einer wirklich großen Bank kann das dann zu einer gesamtwirtschaftlichen Kettenreaktion führen, die die gesamte Volks- oder gar Weltwirtschaft in Bedrängnis bringen kann — und das „darf nicht“ passieren. Voilà: „too big to fail.“

Vor der Bankenkrise waren 97% des Geldes, mit dem die Banken gearbeitet, spekuliert, finanziert haben, geliehenes Geld — 97 Prozent. Ich finde diese Zahl erstaunlich. Die Banken gehen bei ihrer immer häufiger immer rücksichtsloseren Arbeit nur zu 3% mit Geld um, das ihnen selbst gehört. 97% haben sie sich von anderen geliehen. Und dieses Geld verspielen sie, sie verzocken es, sie stecken sich dabei enorme Boni und Gehälter in die privaten Taschen, und mit einem Mal sind sie „too big to fail“ und müssen gerettet werden. So wird Kashkaris „Glaubensprinzip des Kapitalismus“ außer Kraft gesetzt: die Banker gehen hohe Risiken ein, der Gewinn liegt bei ihnen, aber der Verlust liegt bei uns allen.

Soweit, so bekannt — leider.

Als ich diese Zahl gehört habe, musste ich nun an die Griechenlandkrise denken. Bei den Griechen lag die Staatsschuldenquote zu Zeiten der Bankenkrise bei rd. 129% — mit anderen Worten: das Land hatte Schulden, die ungefähr ein Drittel höher waren als das, was es in einem Jahr erwirtschaften kann. Wenn man das vergleicht mit Banken, die mit dem 32fachen dessen spekulieren, was sie aus der eigenen Kasse einsetzen, das verzocken und daraufhin dann gerettet werden müssen, frage ich mich: Warum begreifen wir nicht ein Land wie Griechenland, eine ganze Volkswirtschaft mit Millionen von Menschen, als „too big to fail“, und retten es aus seinen Schulden? Anstatt dass wir dies mit einigen wenigen rücksichtslosen Bankern tun? Zumal die Griechen heute unter Schulden zu leiden haben, die ihnen frühere Generationen von Politikern und Geschäftsleuten beschert haben, während die Banker heute größtenteils immernoch dieselben sind, die schon einmal den Karren in den Dreck gefahren haben.

Was in der Realität passiert, ist das Gegenteil: Griechenland wird mit drakonischen Maßnahmen dazu gezwungen, irgendwie zu versuchen, sich gesund zu sparen — was in etwa so wirkt, als würde man einem Todkranken befehlen, sich gesund zu hungern. Während derweil den Banken riesige Summen zur Verfügung gestellt werden, damit sie nicht untergehen.

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