Offenbar ist in den Niederlanden aktuell die Gefahr gebannt, dass dort ein Rechtsaußen-Trump-Verschnitt Regierungsverantwortung übernimmt. Jetzt nehmen wir für den Augenblick einfach mal an, dass auch die Franzosen im Mai Marine Le Pen nicht zur Präsidentin wählen, und nehmen wir ebenso an, dass es in Deutschland bei der Bundestagswahl gelingt, den Einfluss der AfD in der Bundespolitik klein zu halten — ist dann der Job erledigt? Können sich dann die Europa-Freunde und Linksliberalen wieder zurücklehnen, den Pulse of Europe einstellen und zum Alltag zurückkehren? Einem Alltag, in dem sich viel zu viele Menschen nicht wirklich aktiv um Politik gekümmert haben? „Sicher“ im Glauben, dass Europa irgendwie schon so seinen Gang gehen wird?
Auf gar keinen Fall. Die Arbeit geht dann erst richtig los.
Zunächst mal wird Europa derzeit schon täglich geschwächt: in Polen und in Ungarn sind heute bereits europafeindliche oder zumindest europaskeptische Regierungen an der Macht, und der Brexit wird jetzt kommen. Von Putin, Erdogan und Trump ganz zu schweigen. Und so sägen erklärte Europagegner jeden Tag ein wenig an den Fundamenten der europäischen Idee.
Welche Vision hat Europa für die Menschen?
Hinzu kommt aber: Wilders, Le Pen und die AfD sind nicht das Problem, das wir lösen müssen. Sie sind nur die Symptome einer Krankheit, die viel tiefer sitzt. Diese Krankheit besteht einerseits darin, dass Europa seine Vorstellung davon verloren hat, wohin die Reise gehen soll: Was will Europa für seine Bürger sein, werden, bedeuten und leisten? Warum sollen Menschen, die sich Sorgen um ihre Zukunft machen, daran glauben, dass Europa für sie da sein wird? Insbesondere die ärmeren von ihnen? Und was kann Europa bedeuten für Menschen, die aus anderen Teilen der Welt hierher aufbrechen, weil sie hier das gelobte Land vemuten? Sei es, dass sie um Asyl bitten wollen, sei es, dass es ihnen in ihrer Heimat schlicht so dreckig geht, dass sie hier ihr Glück suchen wollen. Was ist die Politik für sie, die das europäische humanistische Erbe respektiert?
Wie soll die Politik mit den Herausforderungen der Menschheit umgehen?
Andererseits besteht diese Krankheit in einem konzeptionellen Problem unserer Demokratien. Die Herausforderungen, denen sich die Menschheit heute stellen muss, sind so groß, dass unsere repräsentativen Demokratien damit überfordert sind: Klimawandel und Umweltzerstörung, Automatisierung und Digitalisierung, globale ebenso wie lokale soziale Ungerechtigkeit und Turbokapitalismus. Alle drei Themen erfordern von uns allen Veränderungen. Wir müssen manche liebgewonnenen Dinge aufgeben, und uns an andere Ideen und an neue Lösungen gewöhnen. Das bedeutet aber, dass kein Politiker und keine Politikerin mit diesen Themen Wahlkampf machen kann und wird — jedenfalls nicht absehbar. Wer stellt sich hin und sagt vor einer Wahl: „Die Wahrheit ist ja leider, dass in den nächsten zwanzig Jahren aufgrund von Digitalisierung und Automatisierung rund 25% der Jobs wegfallen werden. Ich bin derjenige, der daran arbeiten wird, das sozialverträglich hinzubekommen, damit wir uns hier nicht alle irgendwann gegenseitig die Rübe einschlagen“? Das wird kein Politiker tun, der bei einer Wahl auch nur einen Blumentopf gewinnen will!
Um diese Probleme zu lösen, ist nur der erste Schritt, quasi die Anfangsvoraussetzung, dass rückwärtsgewandte weit rechtsaußen hängende Engstirnpolitik in Europa aus der Regierungsverantwortung gehalten wird. Denn eins ist sonnenklar: mit weniger Europa, mit weniger Kooperation, mit weniger Zusammenarbeit hier und in der ganzen Welt wird man dieser Probleme in keinster Weise Herr werden. Vor allem deshalb müssen wir die Rechtspopulisten von der Regierungsverantwortung fernhalten und daran hindern, Europa noch weiter kaputt zu machen.
Danach aber geht die eigentliche Arbeit überhaupt erst richtig los — für uns alle! Wenn wir diese Arbeit nicht leisten, werden die Rechtsaußen immer und immer wieder zurückkehren. Sie sind die Antwort einer Gesellschaft, deren Demokratie ihre Gestaltungskraft verloren hat: der illusorische Rückzug in ein vermeintlich besseres Gestern.
So, zurück zur Gegenwart: leider kann Le Pen noch immer Präsidentin in Frankreich werden, leider ist die AfD weiterhin eine negative politische Kraft in unserem Land, die Deutschland und Europa nach der Bundestagswahl zum schlechteren verändern kann. Und leider, das dürfen wir auch nicht vergessen, ist Wilders offenbar die zweitstärkste Kraft in den Niederlanden. Insofern: wir haben noch immer die Hausaufgaben nicht gemacht. Darum geht es jetzt zu allererst.
Dazu gibt es so viel zu sagen, dass Schreiben mir zu viel wird. Nur fällt mir leider auch nicht ein, wie man die dringend notwendigen Änderungen einfordern könnte, so dass die Adressaten nicht nur nicken und wie bisher weitermachen.
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Schade. Ich würde ein paar Deiner Gedanken dazu schon gern kennen. Vielleicht kannst Du wenigstens mit ein paar Dingen anfangen?
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