Heute früh habe ich in der taz einen Artikel über ein neues Projekt gelesen, das für eine Radikalreform der Finanzmärkte werben will. Unter dem Titel „Die Rückkehr der Pflugscharen“ heißt es dort:
In Wittenberg wollen Politiker, Künstler und Theologen 95 Thesen zu einer Radikalreform des Finanzmarktes veröffentlichen. Die Anlehnung an den Kirchenreformator Martin Luther erfolgt bewusst. Das Ziel lautet: Wieder linke Alternativen schaffen.
Beteiligt an dem Projekt sind unter anderem Gregor Gysi und André Brie von der Linkspartei, aber auch der Pfarrer Hans Misselwitz. Die Thesen findet man auf der Internetseite perestroika.de.
(Die Seite ist leider furchtbar gestaltet, und die Internetadresse und das Thema passen so nicht zusammen – wer denkt denn bei „Perestroika“ an Finanzen? Die Assoziation mit dem Begriff, der zwar wohl Transparenz bedeutet, ist eindeutig „Gorbatschow“ und der „Fall der Sowjetunion“. Würde man die Verbindung zu Perestroika irgendwie auch textlich herstellen, fänd ich das viel besser. Denn den Begriff 2017 neu zu nutzen, ist ja nicht falsch. So aber ist es ein thematischer Wirrwarr aus drei Themenfeldern, die nicht vernünftig zueinander in Bezug gestellt werden: Martin Luther; Finanzwelt; Perestroika – als ehemaligen Werber stört mich sowas. Die klare Vermittlung von Ideen ist mindestens so wichtig wie die Ideen selbst.)
Man muss tiefer klicken, um zu den ersten Thesen vorzudringen, aber dort findet man zu Beginn Sätze, die das Problem beschreiben, wie beispielsweise:
Die Politik ist an den Vorgaben der Finanzmärkte und den Interessen des oberen, reichen einen Prozents der Bevölkerung ausgerichtet. Die 8 reichsten Männer der Erde besitzen ebenso viel wie die 3,6 Milliarden der armen Hälfte der Menschheit. Und diese haben in den letzten 5 Jahren 41 Prozent ihres Vermögens verloren. Eine Umkehr, eine Reformation ist nötig.
Oder auch:
Die Globalisierung der Finanzmärkte führt zur Erosion der Demokratie. „Anleger müssen sich nicht mehr nach den Anlagemöglichkeiten richten, die ihnen ihre Regierung einräumt, vielmehr müssen sich die Regierungen nach den Wünschen der Anleger richten“, schrieb 2000 der damalige Chef der Deutschen Bank, Rolf-Ernst Breuer, voller Stolz. Und der damalige Außenminister Joschka Fischer bestätigte: „Wir können nicht Politik gegen die Finanzmärkte machen.“
Weiter hinten werden dann Forderungen zur Veränderung aufgestellt:
Das Finanzsystem ist der Realwirtschaft und Gesellschaft unterzuordnen.
Oder auch:
Die umfassende Privatisierung gesellschaftlichen Reichtums muss einer Vergesellschaftung weichen zugunsten von Investitionen in sozialen Zusammenhalt, die Grundversicherung der Ärmsten sowie den ökologischen Umbau durch eine gerechte steuerliche Heranziehung großen Eigentums, hoher Einkommen und des Reichtums. Die schwächeren Länder müssen durch Schuldenerlass dabei unterstützt werden.
Ich finde die bisweilen sehr bemüht wirkende Analogie zu Martin Luther und seinen Thesen etwas unglücklich – vor allem weil Luther ja offenbar eine Art Vordenker kapitalistischer Ausbeutung war – , aber ansonsten freue mich sehr über dieses Projekt und hoffe, dass es mehr Sichtbarkeit bekommt. Aus meiner Sicht hat es mehr zur Lösung unserer aktuellen politischen Probleme beizutragen als so ziemlich alles andere, was derzeit so ver- oder besprochen wird. Ich werde mich in den nächsten Tagen näher mit diesen Thesen auseinander setzen.
Man kann sich übrigens als UnterstützerIn dieser Thesen auch auf der Seite eintragen.
Und dann als Nachtrag um 19:15h noch dieses Video:
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