Ich habe mal wieder ein paar Links zusammengestellt, zu aktuellen politischen Themen.
Medien & „Free Speech“ in den USA
Ein aus meiner Sicht bemerkenswertes Zitat fand sich in einem Kommentar der New York Times über das erneuerte Mission Statement von Facebook. Danach soll Mark Zuckerberg folgendes gesagt haben:
“I don’t think that we, sitting here in California, are best positioned to know what the norms in communities around the world should be,” Mr. Zuckerberg said. “At some point, you just need a more dynamic system where people can just express that themselves.”
Sollte es wirklich zu dieser Art Bewusstseinswandel bei Facebook kommen — nachdem das Unternehmen ja ein Jahrzehnt lang eher dadurch aufgefallen ist, dass es seine eigene Idee von der Welt dieser überstülpen wollte — wäre das eine große Sache. Auch wenn Facebook absehbar ein rein profitorientiertes Unternehmen bleiben wird, für das Shareholder Value letztlich das einzige verlässliche Ziel ist, habe ich weiter die stille Hoffnung, dass das Unternehmen seine Verantwortung für das Lösen der großen Menschheitsprobleme vielleicht eines Tages wahrnimmt. Denn ich bin überzeugt davon, dass wir den Herausforderungen der Menschheit letztlich nur begegnen können, wenn wir einander näher kommen und uns besser miteinander abstimmen, im Bezug auf den Wandel, den unsere Welt braucht. Die Infrastruktur dafür steht mit Facebook zur Verfügung — sie muss nur zu diesen Zwecken verändert und verbessert werden. Vielleicht geht es ja langsam in diese Richtung?
Aus einer ganz anderen Ecke des Themas Free Speech in den US kommt die aktuelle Nachricht, dass der rechte Hetzer und Agitator Milo Yiannopolous offenbar aufgrund von Äußerungen zu Sex mit Minderjährigen nun sogar bei denen in Ungnade gefallen ist, die bislang im Namen von „Free Speech“ verteidigt haben, dass er seine rassistischen, frauenfeindlichen und fremdenfeindlichen Reden speit. Die Aktivistin Julia Serano hält ihnen allen Doppelmoral vor — zu recht:
I have no problems with any of these groups refusing to tolerate Yiannopoulos’s comment. And I have no qualms with their decisions to „no platform“ him over this issue. But I do want to point out that, by drawing the line there, the American Conservative Union, Simon & Schuster, Kurt Eichenwald, and others, are implicitly saying that EVERYTHING ELSE that Yiannopoulos has done up until this point — his long history of blatant racism, misogyny, and transphobia, and his penchant for doxxing, harassing, and intimidating marginalized individuals online and during his talks — all of that is a-okay. Absolutely tolerable. Within the boundaries of normal discourse, in their eyes.
Und dann gab es noch diese extrem hilfreiche Analyse, die erläutert, wie die amerikanische Rechte sich der Instrumente des Cluetrain Manifesto bemächtigt hat (das ich ungefähr ein Jahrzehnt lang selbst gepredigt habe) und auf diese Weise eine vergleichsweise kleine Gruppe von Menschen mittels Emotionalisierung einen übermächtig wirkenden medialen Kampf gewinnen kann:
This is a classic piece of asymmetric warfare, with a small, but highly-distributed but well-ordinated group of people punching far above their weight because they are focusing on a central narrative, and are using more powerful digital techniques than their sluggish, divided mainstream competitors. The newspapers and broadcast media have very big guns, but they’re all firing them at the same place – and it’s not where the opposition really are.
Während zwischen all diesem die New York Times — auf die wir ja alle letztlich dafür zählen, dass sie insbesondere in den USA und insbesondere in Zeiten wie diesen die Flagge des Journalismus hochhält — versucht, sich weiter digital neu zu erfinden. Und dabei Fortschritte macht:
The Times has had more success at building its digital subscriber base than any other publication. Its nearly $500 million in digital revenue not only dwarfs what any print publication has managed online, it also far exceeds leading digital-only publishers. At The Washington Post, which has invested heavily in digital growth since it was acquired by Amazon founder Jeff Bezos, digital revenue was reported in 2016 to be in the neighborhood of $60 million. In 2015, BuzzFeed brought in a reported $170 million, while the Huffington Post’s 2014 revenue, the most recent reported figure, was $146 million.
Vielleicht werde ich auch Abonnent. Ganz digital, im Widerspruch zu meinem Text von letzter Woche.
Flüchtlinge & Europa
In der taz kann man derweil davon lesen, wie sich manche Menschen in Europa auflehnen dagegen, dass die Parteien der politischen Mitte ihre Haltung zu den Flüchtlingen verändern, indem sie Positionen der Rechten übernehmen — was ja auch hierzulande aus Angst vor der AfD sattsam geschieht. Der kurze Artikel in der taz zitiert unter anderem Emmanuel Macron, und endet mit folgenden Worten:
So durchbrechen die Katalenen, die niederländischen Aktivisten und Macron den Fatalismus. Sie erinnern an das, was über die immer gleichen Nachrichten aus den Randgebieten Europas vergessen zu werden droht: dass wir eine Wahl haben.
Bei einem Mittagessen mit Louis Klein von der EUSG und Alexander Wragge von Die Offene Gesellschaft habe ich von „Pulse of Europe“ erfahren — davon hatte ich noch nicht gehört und war sehr erfreut, über deren Aktivitäten in der FAZ zu lesen:
Also Frage an die Frankfurter, die vor einer Woche einfach leise und freundlich zusammen in der Kälte standen: Warum? Antworten: Weil es guttut, mit der Angst vor Trump nicht allein zu sein. – Weil ich glaube, dass wir mehr sind als die, die behaupten, das Volk zu sein. Es wird jetzt Zeit, das zu zeigen. – Weil ich hoffe, dass die Politiker sehen, dass wir an Europa glauben. – Weil ich zum ersten Mal in meinem Leben merke, dass Europa nicht selbstverständlich ist. – Weil es nicht mehr reicht, mit Rotwein am Tisch zu sitzen und sich gegenseitig zu versichern, dass man recht hat. – Weil ich denen Mut machen will, die schweigen. Wir sind auch noch da.
Am nächsten Wochenende, an dem ich wieder in Berlin bin, werde ich sonntags auch zur Demo gehen. Für Europa auf die Straße zu gehen, ist eine Superidee.
Martin Schulz & Europa
Nachdem ich Fragen zu Martin Schulz‘ Haltung zu Europa gepostet hatte, haben mir Kommentatoren auf Facebook zwei Quellen dazu verlinkt. Einmal ein PDF, in dem Martin Schulz gemeinsam mit Sigmar Gabriel bereits im letzten Sommer — noch vor dem Brexit — eine Art Neugründung der EU gefordert hat. Die zentrale Forderung scheint aber eher wirtschaftlicher Natur zu sein, und dieses Gerede zum Aufschwung lässt auf Anhieb wieder nur weitere wirtschaftsliberale Politik befürchten, anstatt dass wirklich Großes geplant wird:
Wir brauchen jetzt den Mut, etwas Größeres zu wagen. Die Überzeugung, dass Europa für alle ein Gewinn ist, kann nur dann wieder stark werden, wenn wir endlich einen Ausweg aus der ökonomischen Krise finden. Deshalb gilt: Vorrang muss jetzt ein neuer wirtschaftlicher Aufschwung in Europa haben!
Danach folgen dann zehn Forderungen an eine Reform Europas, die im wirtschaftlichen Teil sehr viel Raum bekommen, aber für mich nach einer Politik klingen, die auch von der FDP kommen könnte. Derweil wird die Frage nach der Gerechtigkeit auf den Umgang mit Steueroasen reduziert. Das klingt für mich ein wenig schmal. Insgesamt überzeugt mich das Paper nicht davon, dass Schulz der ganz große Europäer sei, als der er gern bezeichnet wird.
Der zweite Link verweist auf das Video-Interview von Richard David Precht mit Martin Schulz. Da kann man dann immerhin so etwas hören, von einem sehr ernsthaften und konzentriert sprechenden Schulz:
[…] Segnungen des Kapitalismus würde ich nun vom Grundsatz zurückweisen. Der Kapitalismus ist nicht etwas, was Segen bringt, sondern der Wildwest-Kapitalismus, den wir ja erlebt haben, der Raubtier-Kapitalismus, der ja übrigens auf die Schwellenländer keinerlei Rücksicht nimmt, führt ja eher zur Verelendung. Deshalb glaube ich schon, Europa hat profitiert, da haben Sie recht, und zwar sehr, deswegen hat es auch die Potenziale zu teilen, ohne seinen eigenen Reichtum aufgeben zu müssen. Die Kunst ist: wie halten wir unseren Standard und bringen andere auf die gleiche Ebene? Das muss das Projekt im 21. Jahrhundert sein.
Da steckt natürlich auch eine Illusion drin, diejenige, dass es bei uns — grob gesprochen — schon im Großen und Ganzen wirtschaftlich so weitergehen kann. Was ja schlicht nicht stimmt, wenn wir uns unseren endlichen Planeten und die unendliche wirtschaftliche Wachstumsgier im Konflikt damit ansehen. Aber sich vor einer Wahl hinzustellen und den Menschen zu sagen, dass es fundamentale Veränderung braucht, macht halt kein Politiker.
Einige Minuten später sagt Schulz dann:
Die Unterwerfung unter dem Primat der Durchkommerzialisierung unseres gesamten Lebens […] ist zumindest mit mir nicht machbar. Ich glaube deshalb zum Beispiel, dass wir Regeln brauchen, und diese Regel — da kommt mein Europapolitikerdasein ins Spiel — ist auf der nationalen Ebene allein nicht mehr zu erreichen; wir brauchen zum Beispiel Steuerregeln auf europäischer Ebene.
Und vor allem:
Wir sind ein superreiches Land, Europa ist ein superreicher Kontinent, aber es gibt zwei Phänomene: der Reichtum ist weder innerhalb unseres Landes noch innerhalb Europas gerecht verteilt, und er ist zwischen Europa und anderen Regionen der Welt auch nicht gerecht verteilt. Und da sind wir wieder bei dem, was wir am Anfang diskutiert haben: dieser Raubtierkapitalismus, den wir eben beschrieben haben, wo einige wenige ganz Superreiche immer reicher werden, und eine zunehmende Anzahl Menschen ärmer wird, das können wir bekämpfen, da haben wir Instrumente.
Das klingt dann schon sowohl europäisch wie sozialdemokratisch.
Insgesamt ist das ein sehenswertes Interview, weil Precht vor allem auch interessante Fragen stellt — beispielsweise zur Digitalisierung der Welt und Arbeitslosigkeit durch Automatisierung, zu Politik als Dienstleistung, zu „Erasmus für alle“, oder auch zum Staatsbürgertum oder der Ökologie im Konflikt mit einer Werbewelt, die ständig nur die Jagd nach dem persönlichen Vorteil propagiert.
Und dann gibt es noch den extrem unterhaltsamen Schulz-und-Sühne-Text beim Stern zur Kandidatur von Martin Schulz, der nicht nur den schönen Namendreiklang Schmidt – Schröder – Schulz präsentiert, sondern auch so feine Absätze wie diesen zu bieten hat:
Dieses jovial hemdsärmelige, mitunter schnoddrige, diese fast schon autosuggestive Überzeugtheit von sich selbst, gepaart mit der Bereitschaft, bei politischen Gegnern vom Kaliber eines Berlusconi den Bizeps anzuspannen- vielleicht schwingt da ja auch die leise Hoffnung mit, dass es den Erdogans und Trumps dieser Welt bald ganz ähnlich ergehen könne.
Da ist was dran, glaube ich. Den Schulz würde ich schon gern mal auf Trump loslassen.
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