Macron, Schulz … sie werden nicht reichen.

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Bislang neigte ich dazu, mir in Frankreich einen Macron-Wahlsieg zu wünschen. Aber nachdem ich dieses extrem eindrückliche Interview in der Süddeutschen gelesen habe, grübele ich darüber. Aus meiner Sicht ist es mit Macron vielleicht ähnlich wie mit Martin Schulz. Sie schlagen Töne an, die richtig klingen. Aber eben richtig für mich – als Mitglied eines privilegierten Teils der Gesellschaft. Einen wirklich tieferen Wandel, den wir im Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik wohl letztlich brauchen, damit wir wieder mehr Gerechtigkeit, gesamtgesellschaftliche Nachvollziehbarkeit und strategische Handlungsfähigkeit in die Politik bekommen, scheint keiner dieser beiden bereit anzugehen. Mit anderen Worten: bei diesen letztlich ja sehr „mittigen“ Politikern mit einem „Geschmack von links“ fehlt es womöglich an politischer Weitsicht oder am Mut – der Erkenntnis, dass das Rumgewerkele an der Oberfläche mittelfristig nicht mehr reicht. Weil diese Erkenntnis – einmal ausgesprochen – eben auch die vielen Wähler verschreckt, die große Veränderungen fürchten. Ganz gleich, was sie für deren Leben wirklich bewirken würden.

Le Pen und die AfD dagegen richten ihre Rhetorik nicht an den privilegierten Teil der Gesellschaft, sondern an die, die sich verloren, missverstanden, ignoriert fühlen. Davon gibt es in vielen europäischen Ländern mehr, als der privilegierte Teil der Gesellschaft wahrhaben möchte. Und als die Bundesregierung im Armutsbericht wirklich deutlich und klar anzuerkennen bereit ist. Das ist übrigens auch ein Teil des Problems, das ich bei Pulse of Europe sehe. Die Menschen dort sind natürlich nicht dieselben, die sich von Parolen der AfD angezogen fühlen. Pulse of Europe macht aber (bislang) auch nicht den Versuch zu erklären, wie Europa sich ändern muss, damit sich mehr Menschen eingeschlossen und als Teilhabende fühlen können.

Nun haben AfD und Le Pen natürlich keinerlei ernsthaft hilfreiche Antworten für diejenigen, denen es nicht gut geht, oder die sich nicht verstanden fühlen. Sie geben sich letztlich in gewisser Weise begrenzt sozial, tun so als ob – versteckt hinter verheerender Sündenbockrhetorik. Gerade die AfD ist ja eine zutiefst wirtschaftsliberale Partei, die jene, die sich zurückgelassen oder bedroht fühlen, mit ihrer Politik noch weiter abhängen wird. Und was ein Austritt Frankreichs aus der EU mit dem Land und gerade mit denen, die nicht mobil und weltoffen sind, anstellen würde, mag ich mir kaum ausmalen.

Eine Veränderung zum Positiven kann aus meiner Sicht also nur links der Mitte entstehen. Radikalere Forderungen dazu spielen sich aktuell noch eher am Rand ab, sind nicht laut und klar und bekannt und populär genug, um wirklich wahrgenommen zu werden. Aber das kann, das muss sich ändern. In Frankreich scheint ja offenbar ein sehr weit linker Kandidat gehörig aufzuholen.

Und so scheint es, als ob wir mittelfristig offenbar eine wirklich harte Auseinandersetzung brauchen werden mit jenen, die mit ihrem Geld und der daraus entstehenden Macht alles kaufen können, vor allem: eine uneingeschränkt wirtschaftsfreundliche Politik, zu der sie weiterhin gebetsmühlenartig erklären, dass man der Wirtschaft das Leben leicht machen müsse, damit sie wachsen und Arbeitsplätze schaffen kann.

Genau diese Stimmen werden aber möglicherweise irgendwann umschwenken: auf Parteien wie die AfD. Die wirtschaftspolitisch genau dieselbe Haltung vertritt.

Beziehungsweise auf eine Union, die dann wieder stärker nach rechts rückt, raus aus dem „Undefiniert-Alternativlosen“, in dem sie jetzt steckt.

Meine Hoffung ist, dass sich derweil diejenigen, die unter den aktuellen Verhältnissen am meisten zu leiden haben, wieder von den Hartrechten abwenden werden. Vielleicht gar weil letztere sie, einmal im Amt, schwer enttäuschen werden. Vor allem aber: weil sich ein größeres ernsthaft sozial-inklusives politisches Lager wieder neu bildet und endlich wieder mit Kreativität und Ideen an neuen Visionen für unsere Gesellschaft und für unseren Planeten arbeitet, anstatt weiter einer neoliberalen Logik von „immer freieren Märkten“ zu folgen.

Was bedeutet das also für die Wahlen in Deutschland und Frankreich? Letztlich bleibe ich wohl dabei, mir Macron und Schulz zu wünschen – und wenn nur, um die Idee von Europa über die nächsten 4-5 Jahre zu retten.

Notwendig wird in jedem Falle die Erkenntnis, dass in der kommenden Legislaturperiode der Volumenregler der Vorschläge für eine fairere, gerechtere und bessere Wirtschafts- und Finanzpolitik in ganz Europa deutlich aufgedreht werden muss – damit derartige Ideen gesamtgesellschaftlich Gehör finden. Und damit diese Positionen hart rechte Parteien mit ihrer verlogenen Haltung im Diskurs als wahre Alternative endlich ablösen.

8 Kommentare

  1. Eine gemeinwohlorientierte Gesellschaft braucht keine Parteien und schon gar keine Opposition. Beides ist unlogisch, wenn es um das gute Leben aller geht. Beides ist logisch, wenn es um die Sicherung von Besitzständen geht. Damit wäre aber die Gleichwertigkeit der Menschen nicht gegeben und man hat keine Basis für eine Demokratie, sondern nur für den Kampf jeder gegen jeden. Wählen bedeutet nicht Demokratie , sondern Aristokratie. Das wussten bereits die alten Griechen.

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    1. Politik, verstanden als das Aushandeln verschiedener Interessen, braucht adressierbare Vertreter von solchen Interessen. Das sind derzeit Parteien. Sicherlich nicht ideal und verbesserungswürdig.

      Die Gesellschaft als solche ist an keinem spezifischen Interesse orientiert, sondern umfasst alle Interessen. Würde sie einem Interesse unterworfen, wäre sie totalitär.

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      1. Ah jetzt. Es ist eine Antwort auf den anderen Kommentar.

        Ich glaube auch, dass es keine gute Idee ist, die Parteien abschaffen zu wollen. Aber ich glaube sehr wohl, dass es für unsere Demokratie gut sein kann, wenn wir zu komplexen Themen Instanzen einberufen, in denen Bürger miteinander bestimmte Interessen aushandeln, um die Distanz der Bürger von der Politik grade bei sensiblen und polarisierenden Themen zu verringern.

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