Buchvorstellung: Tim Jackson, „Wohlstand ohne Wachstum“ (Update).

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Hiermit melde mich zurück aus dem Urlaub! Vergangene Woche Mittwoch war ich in der Böll-Stiftung, wo ich mir Prof. Tim Jacksons Vorstellung seiner komplett überarbeiteten Neuauflage des Buches „Wohlstand ohne Wachstum“ („Prosperity Without Growth„) angehört habe. Jackson hat seine Neuauflage zunächst in einem Gespräch mit der Moderatorin und dann in der Diskussion mit dem österreichischen Wirtschaftswissenschaftler Andreas Novy sowie mit dem Saalpublikum erläutert und diskutiert. Ich habe versucht, so gut wie möglich mitzuschreiben. Folgend meine Notizen.

Zuerst hatte Jackson das Buch im Jahr 2009 veröffentlicht – es war ursprünglich als Bericht an die britische Regierung gedacht gewesen. Da es aber dort mit seiner Kritik an einer rein an Wachstum orientierten Wirtschaft auf keinen fruchtbaren Boden fiel, hat er es dann als Buch veröffentlicht, das offenbar schon damals auf große Resonanz gestoßen ist.

Warum hat er das Buch grundsätzlich überarbeitet? Eigentlich hatte er nur ein paar neue Grafiken und ein paar neue Zahlen einbauen wollen. Beim Schreiben kam ihm dann aber die Erkenntnis, dass sich die Debatte und die Fakten in der Zwischenzeit wesentlich weiterentwickelt hatten. Zudem waren Jackson selbst manche Zusammenhänge klarer geworden. Außerdem wollte er seinem größeren öffentlichen Publikum nun gerechter werden und sich sprachlich klarer ausdrücken als damals für die Regierungsstellen. Schließlich lag ihm daran, seine sehr spezifischen Vorschläge zur Gestaltung einer neuen Wirtschaftsordnung deutlicher herauszuarbeiten — er wollte seinen Weg aus dem Dilemma klarer aufzeigen.

Begrenztes Wachstum – dort, wo es zählt
Laut Jackson geht es in den armen Ländern dieser Welt beim Thema Wohlstand heute ganz akut darum, dass materielle Besserstellung das Leben wirklich fundamental verändert und verbessert. Es geht um Gesundheit, Wohnen, Wasser, entscheidende Güter für ein besseres Leben. Die größten Zuwächse im Wohlstand finden auf dieser Welt heute im Schritt von großer Armut zu relativ geringerer Armut statt. Wir im Nordwesten entwickeln uns dagegen trotz Wachstum aus Sicht unseres objektiv erfahrbaren Wohlstandes nicht mehr nennenswert weiter. Zentral ist für Jackson also der relative Unterschied im Nutzenzuwachs, den das Wachstum an verschiedenen Orten der Welt erzeugt. Wenn wir auf einer endlichen Welt das Wachstum begrenzen und zugleich bessere Lebensbedingungen schaffen wollen, ist damit eine zentrale Frage: wie kann man in den reichen Ländern das Wachstum zurückschrauben, um es stattdessen dort zu fördern, wo es so dringend für den Wohlstand notwendig ist?

Was ist Wohlstand?
Laut Jackson ist ein Wohlstandstandskonzept begrenzt auf mehr Output und mehr Besitz eine eher limitierte und sehr westliche Idee. Eigentlich steht dahinter etwas anderes: ein gutes Leben zu führen, mehr Zusammenhalt in der Gesellschaft zu schaffen, gemeinsam auf eine höhere Ebene sozialen und psychischen Wohlbefindens zu gelangen, dabei aber trotzdem die materiellen Umweltbelastungen zu reduzieren. Wohlstand hat nicht allein mit materiellen Dingen zu tun, sondern vor allem auch mit sozialen. Wohlstand muss bedeuten, dass alle in die Lage versetzt werden, ein florierendes Leben zu führen, auf einem endlichen Planeten. Es kann sich daher für uns nicht allein darum drehen, schlicht immer mehr Dinge zu besitzen.

Jackson fordert also eine Debatte über das gute Leben. Was es bedeutet, ein gutes Leben zu führen. Wir stehen heute mit der Menschheit an genau dem Punkt, an dem wir die Frage, was ein gutes Leben ist, nicht mehr falsch beantworten dürfen, weil wir sonst alles für alle zerstören.

Wann entstand der Fokus auf Wohlstand als Konsum? Vor rund 150 Jahren waren wir  in der westlichen Welt überwiegend sehr arm. Dass die wirtschaftliche Entwicklung bei uns dafür gesorgt hat, dass wir all jene Dinge bekommen haben, die wir heute kennen, hat uns eindeutig besser gestellt, das erkennt Jackson ohne Abstriche an – Wachstum hat uns dorthin gebracht, wo wir heute sind. Aber: ist das, was in der Vergangenheit richtig war, auch künftig die richtige Antwort? Jackson will nicht den Fortschritt dämonisieren, den uns das Wachstum gebracht hat. Aber er will fragen, wie es weitergehen soll.

Das Wachstumsdilemma
Auf der einen Seite steht: das wirtschaftliche Wachstum kann nicht so weitergehen wie bisher. Auf der anderen Seite: wenn Wachstum aber aus unseren Gesellschaften verschwindet, die in ihren Logiken auf Wachstum basieren, geschehen schlimme Dinge. Sehr gut konnte man das am (vor allem wirtschaftlichen) Kollaps der Sowjetunion sehen – die Lebenserwartung der Menschen ging um ein Jahrzehnt zurück.

Also: das Wachstum ist einerseits nicht weiter aufrecht zu erhalten.

Schrumpfung aber ist instabil.

Was ist angesichts dieses Dilemmas zu tun?

Zwei Möglichkeiten bieten sich an: entweder wir schaffen es doch, nachhaltiges Wachstum hinzubekommen, irgendwie. Auf einem Planeten, der begrenzt ist, muss es uns gelingen, unendlich weiter zu wachsen. Jackson sagt, dass das — trotz allen Fortschrittsglaubens im Silicon Valley und trotz der Ideen des „Decouplings“ — auf einem endlichen Planeten schon allein physikalisch nicht gelingen kann. Grüne Energien und neue Technologien können natürlich enorm viel leisten. „Das kriegen wir hin“, sagen die technischen Optimisten. Aber Jacksons Zweifel gehen über die reine physikalische Begrenzung hinaus: wie sollen wir einen derartigen Wandel in unserer bestehenden wirtschaftlichen Welt hinbekommen, die derart auf mehr Ausbeutung ausgerichtet ist? Erlaubt sie das? Allein psychologisch ist endloser Hedonismus das zugrunde liegende System, das unsere Wirtschaft weiter wachsen lässt. In einer derart tickenden Gesellschaft ist eine technologische Entwicklung, die unser wirtschaftliches Geschehen vom Ressourcenverbrauch abkoppelt, nicht möglich.

Jacksons Alternative daher: wir müssen unsere Art über Wirtschaft und unseren Wohlstand zu denken, verändern. Und wir setzen eben doch auf Degrowth/Schrumpfung/Nullwachstum. Wir entwickeln dafür eine neue Wirtschaft(slogik), die nicht mehr auf Wachstum angewiesen ist. Wir denken uns eine neue Art des Wirtschaftens, die für alle funktioniert — nicht nur für die wenigen. Das ist Jacksons Ansatz.

An dieser Stelle ging es dann mit einigen Kommentaren von Andreas Novy zu Jacksons Buch weiter – Novy hatte das Buch zur Vorbereitung durchgearbeitet, um dann vier Punkte anzusprechen:

  1. Sozial-ökologische Transformation. Das Buch fordere eine grundlegende Veränderung. Diese Notwendigkeit werde von vielen nicht erkannt, Jackson dagegen verschließe davor nicht die Augen, er spreche die Notwendigkeit einer Veränderung in der Auseinandersetzung mit grundlegenden Fragen unseres Wirtschaftssystem klar an. Außerdem beschäftige er sich sehr mit den Fragen des guten Lebens für alle, und mit dem globalen Ungleichgewicht. Nicht in Armut zu leben, bedeutete schon bei Adam Smith: „To be able to appear in public without shame.“ – wie kann also die Wirtschaft so organisiert werden, dass alle Menschen auf der Erde ein gutes Leben „without shame“ führen können? Das, was wir mit unserem bestehenden Wirtschaftssystem gut können: das gute Leben für sehr wenige zu organisieren. Genau damit, dass das nicht mehr reicht, beschäftige sich das Buch – dankenswerter Weise.
  2. Konsumismus: Dass die Logik des Konsumismus unserem Wirtschaftssystem zugrunde liegt, thematisieren die Wirtschaftswissenschaften derzeit überhaupt nicht. Das Buch tue es, es spreche darüber, dass das Befriedigen von Bedürfnissen nicht nur über Dinge geht. Man könne Bedürfnisse auch anders befriedigen. Allerdings fragt Novy: warum kommen die Konzepte „Gebrauchswert“ und „Tauschwert“ im Buch nicht vor?
  3. Wachstum: Die große Einsicht des Buches sei, dass das Wachstum zentraler Teil unserer Erfolgsgeschichte der letzten 200 Jahre gewesen sei, aber nun zu einem Problem werde. Novy erwähnt den Kongress „Gutes Leben für alle“, den er in Österreich mit organisiert hat, und erklärt, dass sie dort das Thema „Wachstum“ bewusst weggelassen haben, weil es im Austausch zwischen Süd und Nord sehr leicht zur Spaltung führt. Genau dieses Problem — dass im armen Süden des Planeten Wachstum gebraucht wird, es im Norden aber zurückgeschraubt werden muss — stand ja bereits am Anfang dieses Textes. Novys Frage dazu: Ist nicht eigentlich das Konkurrenzprinzip das Kernproblem? Wenn man in unserer aktuellen Wirtschaft als Unternehmen (oder Land) nicht voranschreitet und andere zu besiegen versucht, geht man unter. Das Buch dagegen habe ein sehr allgemeines Verständnis von Kapitalismus, und zwar: „Wer hat die Produktionsmittel“? Novy fordert eine andere Definition von Kapitalismus, mit Konkurrenz als treibendem Mittel. Er sagt: Post-Wachstum-Marktwirtschaft kann es geben, Post-Wachstum-Kapitalismus aber nicht. (Ich muss sagen, dass ich dieser ganzen Argumentation nicht ganz folgend konnte.)
  4. Macht: Das Buch liefere eine Menge Vorschläge und Ideen. Aber: es umschiffe die zentrale Frage der Macht, die für Veränderung so wichtig sei. Novy wirft dem Buch eine zu passive Haltung vor: „Wir entwickeln eine bessere Ökonomie, das erklären wir dann der Politik, und danach hoffen wir, dass die das umsetzen.“ Novy sieht zwei entscheidende Aspekte bei der Frage der Macht: (1) Warum passiert so wenig? Weil in unserem System wirtschaftliche und politische Macht so eng verflochten sind. Überall gebe es „Drehtüren“, in denen ein direkter Fluss hin und her zwischen Politik und Wirtschaft organisiert wird: Zentralbanken. Energieagenturen. Ministerien. Konzerne. Novy fordert, dass wir anerkennen, dass das ein wesentliches Element ist. (2) Politisches Handeln findet auch jenseits staatlichen Handelns statt. Politik von unten. Als Zivilgesellschaft von unten, Ermächtigung der Bevölkerung – dies sei ein wichtiger Teil, der bei dem Nachdenken über Transformation beachtet werden muss.

Jackson wiederum gab auf die Fragen und auf die Kritik vor allem die folgenden Antworten:

  • Kapitalismus: der Umgang damit sei eines der schwierigsten Themen überhaupt im Buch. Er selbst hatte eine kritische Haltung zum Kapitalismus, musste aber anerkennen, dass er für eine kapitalistische Regierung gearbeitet hat. In seinem Projekt das Konzept „Wachstum“ anzugreifen, sei schon schwer genug gewesen. Hätte er den Kapitalismus insgesamt angegriffen, wäre seine Arbeit deutlich weniger akzeptiert und rezipiert worden. Aus seiner Sicht sind Wachstum und Kapitalismus außerdem zwei sehr verschiedene Dinge – es gebe unterschiedliche Modelle und Kombinationen. Was Jackson als Indiz dafür ansieht, in seiner Haltung zum Kapitalismus vielleicht genau an der richtigen Stelle zu stehen: er wurde nach der Veröffentlichung von beiden Seiten angegriffen – die Wachstumsgläubigen hielten ihn für eine Kommunisten, die Degrowth-Leute dagegen für einen Vertreter des Establishments, weil er den Kapitalismus nicht scharf genug angreift.
  • Macht: Das Buch behandelt Macht und Machtlosigkeit, Armut und Zurückgelassensein. Aber das Thema „Macht“ kann noch mehr Aufmerksamkeit vertragen, das erkennt Jackson an. Dass derzeit die Regierungen machtlos sind gegenüber dem Kapital, sei richtig. Denn die Annahme besteht darin, dass soziale Stabilität von wirtschaftlicher Stabilität abhängt, und letztere wiederum vom Wachstum. Und damit ist die Falle für die Politik festgelegt: sie muss dem Wachstum der Konzerne huldigen, sonst – so die Annahme – riskiert sie Aufruhr im Land. Wenn wir aber nun ein stabiles System schaffen, das Wachstum nicht braucht, kann die Regierung plötzlich für alle funktionieren, und nicht nur für die Konzerne. Damit entsteht endlich wieder Legitmität aus der Repräsentierung aller. Und nicht nur der wenigen.

Durch die Fragen Novys und die des Publikums wurden dann noch weitere Themen gestreift:

Kritik am Konsumismus
Novy mahnte, die Kritik am Konsumismus ernst zu nehmen. Wir müssten darauf achten, Bedürfnisse mit weniger Konsum von Waren zu befriedigen. Die Stadt sei ein wesentlicher Ort dafür, das zu leisten. Das erfordert demokratische Auseinandersetzung. Anstatt dass wir ständig in Infrastruktur für die Forsetzung von Wachstum investieren, müssten wir endlich in mehr Infrastruktur für ein besseres Leben investieren. Er verwies auch auf das Experiment des „roten Wiens“, eine Form lokalen Sozialismus in Österreich in der Zwischenkriegszeit. Dort wurde sehr bewusst die Lebensqualität der Menschen gesteigert – durch Wohnraum, Erholung, Bildung, besseres Zusammenleben, und nicht durch mehr Konsum. Das klingt nach sozialer Infrasturktur, sei aber eigentlich sozial-ökologische Gestaltung unseres Zusammenlebens. In England und Wales seien ähnliche Ansätze als „foundational economy“ bekannt. Es gehe um Nahversorgung, Freizeitgestaltung, Naherholung, weniger Konsum, und also: Wohlstand ohne Wachstum.

Anstelle von Glück ist Unzufriedenheit der Motor unserer Wirtschaft
Jackson wünschte sich mehr soziale Experimente. Die Zahl Leute, die nach der Erstveröffentlichung seines Buches auf ihn zugekommen seien und ihm gesagt hätten, dass sie genau nach diesen Gedanken ihre Projekte, Ideen, Firmen leiten, sei sehr ermutigend gewesen. Aber wir bräuchten mehr davon. Denn derzeit leben wir im Griff einer sozialen Illusion. Die Konsumgesellschaft sagt uns, dass das nächste neue Ding unser Leben so viel besser machen wird. Aber das, was ich eigentlich brauche, ist Liebe oder Anerkennung, und das Produkt wird diesen Bedarf nicht decken. Stattdessen entsteht – nach einem aufblitzenden Moment von Shopping-Glück – neue Unzufriedenheit, denn es gibt ja schon wieder das nächste Neue. Und genau diese Unzufriedenheit braucht das System, damit man wieder etwas Neues kaufen will. Also basiert unsere Wirtschaft auf Unzufriedenheit. Wie wäre es, wenn wir die Wirtschaft auf einem System basieren lassen könnten, das Zufriedenheit ins Zentrum stellt? Das sei eine positive Vision für einen Wandel, die sehr viel Kraft habe.

Es geht nicht weiter wie bisher
Jackson erzählte von Gegenden in England, in denen es nach dem Finanzkollaps 50-60% Jugendarbeitslosigkeit gab. Und er fragt: Gab es keine Alten zu pflegen? Gab es keine Kinder zu unterrichten? Keine Grünflächen zu betreuen? Keine Häuser zu reparieren? Es gebe immer und überall enorm viel Arbeit, wir haben nur eben ein Wirtschaftssystem, das derartige Lösungen nicht finden kann. Novy pflichtete bei: „Es geht nicht weiter wie bisher.“ Die Transformation fällt aber denen, die sie politisch denken müssen, sehr schwer. Die Politiker wollen im Großen und Ganzen so weitermachen wie bisher, denn dann müssen sie sich nicht darum kümmern, dass es bei einer Umstellung auf eine neue Art des Wirtschaftens auch neue Verlierer geben würde. Speziell auf die deutsche Politik und ihre Forderungen an Europa bezogen sagte er: eine Wirtschaft, die nur erfolgreich ist, wenn sie exportiert, ist nicht verallgemeinerbar. Das, was Deutschland von Europa erwartet, ist keine Politik, die auf diesem Planeten funktionieren kann.

Brauchen wir die Revolution?
Aus dem Publikum kamen daraufhin mehrere Fragen danach, ob dies alles ein „Call to Revolution“ sei? Der Appell, auf die Straße zu gehen? Jackson meinte, das müsse eine jüngere Generation entscheiden. Sein Rat sei aber: „Ich würde das zu vermeiden versuchen.“ Eine echte Revolution lasse zu viele Vakuums entstehen, Leben gingen dabei verloren. Das wäre also vielleicht ein zu gefährlicher Ansatz. Aber das bedeute nicht, dass wir uns mit den marginalen Änderungen zufrieden geben dürfen, mit denen die Politik heute hilflos an den Problemen herumdoktort.

Zusatzanmerkung: wir haben Tim Jackson dafür gewinnen können, für unsere Veranstaltung am 22.09. auch einen Beitrag zu leisten. Und der allein ist es wert zu kommen, behaupte ich.